Magdeburger-News: Interview mit Alexander Schadow

Gesundheit-News: Interview mit Alexander Schadow

Interview mit Alexander Schadow über endlos lange Wartezeiten in psychotherapeutischen Praxen

Foto: Alexander Schadow
Foto: Alexander Schadow

Veröffentlicht am 11. März 2025 in Magdeburger-News

Interviewerin:

Herr Schadow, warum sind die Wartezeiten in psychotherapeutischen Praxen so immens lang, teilweise bis zu eineinhalb Jahren?

 

Alexander Schadow:

Die langen Wartezeiten in psychotherapeutischen Praxen resultieren aus einem Missverhältnis zwischen der steigenden Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen und dem begrenzten Angebot an kassenfinanzierten Therapieplätzen. Mehrere Faktoren tragen zu diesem Ungleichgewicht bei:

Zunahme psychischer Erkrankungen:

In den letzten Jahren hat in der Bevölkerung das Bewusstsein für psychische Gesundheit stark zugenommen. Immer mehr Menschen suchen therapeutische Unterstützung, wodurch die Nachfrage kontinuierlich steigt. In Deutschland besteht bei rund 18 Millionen Menschen ein Bedarf an Psychotherapie, was etwa 28 Prozent der Bevölkerung entspricht. Obwohl in eigener Praxis tätige, knapp 27.000 krankenkassenzugelassene Psychotherapeuten die Nachfrage decken, wird die psychotherapeutische Versorgung als Krankenkassenleistung von vielen Patienten und Psychotherapeuten als deutlich unzureichend bewertet. Mehrere Studien verweisen auf einen Versorgungsmangel in der Psychotherapie.

Begrenzte Anzahl von Kassensitzen:

Die Zahl der Kassensitze für psychologische Psychotherapeuten ist gesetzlich begrenzt. Dadurch entsteht eine strukturelle Unterversorgung, weil nicht genügend Behandlungsplätze für alle Hilfesuchenden verfügbar sind. Gleichzeitig haben über 10.000 Heilpraktiker für Psychotherapie in ihren eigenen Praxen täglich rund 27.000 Patientenkontakte. Das entspricht über neun Millionen Patientenkontakten im Jahr. Die psychotherapeutische Behandlung durch Heilpraktiker für Psychotherapie ist trotz der fehlenden Kostenübernahme durch gesetzliche Krankenkassen ein unverzichtbarer Bestandteil der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland und wird immer häufiger nachgefragt.

Bürokratische Hürden:

Die Zulassung als kassenzugelassener Psychotherapeut ist ein aufwendiger Prozess. Dadurch können sich nicht genug Fachkräfte niederlassen, um die steigende Nachfrage aufzufangen.

Regionale Unterschiede:

Besonders in ländlichen Gebieten ist das Angebot an Psychotherapeuten begrenzt. In Städten gibt es mehr Therapieplätze, allerdings auch eine entsprechend höhere Nachfrage, wodurch auch hier lange Wartezeiten entstehen.

 

Interviewerin:

Sind die Wartezeiten bei Heilpraktikern für Psychotherapie kürzer?

 

Alexander Schadow:

Ja, in der Regel sind die Wartezeiten bei Heilpraktikern für Psychotherapie deutlich kürzer als bei kassenzugelassenen Psychotherapeuten. Das liegt vor allem daran, dass Heilpraktiker für Psychotherapie nicht über die gesetzlichen Kassensitze reguliert werden und in der Regel privat bezahlt werden müssen.

Dadurch können sie flexibler arbeiten und können auch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannte Verfahren wie z.B. die Gesprächspsychotherapie oder die Transaktionsanalyse anbieten. Nach Aussage des Sozialministerium Mecklenburg- Vorpommern ist ihr Berufsfeld „…deshalb auch nicht auf die anerkannten psychotherapeutischen Verfahren nach § 1 Psychotherapeutengesetz beschränkt.“ (Sozialministerium Mecklenburg- Vorpommern, 12.9.2003, AZ: IX 302).

Heilpraktiker für Psychotherapie sind ebenfalls nicht an das Zulassungsverfahren der gesetzlichen Krankenversicherung gebunden. Viele Menschen, die eine schnelle psychotherapeutische Unterstützung benötigen, weichen deshalb auf privat finanzierte Therapieangebote aus – entweder bei Heilpraktikern für Psychotherapie oder bei approbierten Therapeuten, die keine Kassenzulassung haben. "Heilpraktiker für Psychotherapie haben einfach das größere Handlungsspektrum und können in ihrem Tätigkeitsfeld und in ihrer praktischen Berufsausübung wesentlich mehr diagnostische und therapeutische Verfahren anwenden als Psychologische Psychotherapeuten", stellt Dr. jur. Frank Stebner klar.

Allerdings sollte man bei der Wahl einer Therapieform genau prüfen, welche Behandlungsmethoden angeboten werden. Heilpraktiker für Psychotherapie unterliegen – ebenso wie die approbierten ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten – einer Vielzahl gesetzlicher Vorschriften und der Kontrolle durch die Gesundheitsämter, u. a. Behörden.

Die Ausübung der Tätigkeit setzt den Nachweis einer entsprechenden Qualifikation voraus, die durch spezifische Aus- und Fortbildungen erworben werden kann. Die Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und die Kontrolle der Qualität der Leistungen obliegen den Gesundheitsämtern. Die Anwendung von psychotherapeutischen Verfahren und Methoden durch Heilpraktiker für Psychotherapie ist an die Voraussetzung geknüpft, eine entsprechende Qualifikation nachzuweisen.

 

Interviewerin:

Welche Maßnahmen könnten Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um diese Wartezeiten zu verkürzen?

 

Alexander Schadow:

Um die Situation langfristig zu verbessern, sollten verschiedene Maßnahmen umgesetzt werden:

Erhöhung der Kassensitze: Eine Anpassung der Kassensitze an den tatsächlichen Bedarf könnte eine Erweiterung des Angebots an Therapieplätzen bewirken. Des Weiteren könnte die Einbindung von Heilpraktikern für Psychotherapie, beispielsweise durch die Verankerung eines Erstattungsverfahrens, einen positiven Effekt auf das bestehende Angebot haben.

Bürokratie abbauen: Die Verfahren für die Zulassung neuer Therapeuten sollten vereinfacht werden, um mehr Fachkräfte in die Versorgung zu bringen.

Förderung digitaler Angebote:

Online-Therapie und Telemedizin können helfen, Wartezeiten zu überbrücken und eine flexiblere Versorgung zu ermöglichen.

Stärkere Prävention: Präventionsprogramme in Schulen, Betrieben und sozialen Einrichtungen können helfen, psychische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, bevor sie chronisch werden.

 

Interviewerin:

Sehen Sie auch eine Rolle der Politik in diesem Zusammenhang?

 

Alexander Schadow:

Ja, die Politik trägt eine zentrale Verantwortung. Die Bedarfsplanung für psychotherapeutische Versorgung muss dringend reformiert werden, damit die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt ist. Außerdem sollten alternative Modelle zur Überbrückung von Wartezeiten gefördert werden, etwa über gemeindenahe Kriseninterventionsteams oder kurzfristige Beratungsangebote in Zusammenarbeit mit Heilpraktikern für Psychotherapie.

Letztlich brauchen wir ein Gesundheitssystem, das psychische Gesundheit genauso ernst nimmt wie körperliche Erkrankungen – und das bedeutet mehr finanzielle Mittel, weniger Bürokratie und eine bessere Vernetzung zwischen ambulanter, stationärer und präventiver Versorgung.

 

Interviewerin:

Vielen Dank für das aufschlussreiche und nette Gespräch, Herr Schadow.

 

Alexander Schadow:

Sehr gerne.

 

Das Interview mit Alexander Schadow führte Michelle Prost 

 

Anmerkung der Redaktion: 

Alexander Schadow ist seit vielen Jahren praktizierender Heilpraktiker für Psychotherapie und Vorsitzender des Berufsverbandes Anthroposophischer Heilpraktiker (AGAHP)

 

Kontaktdaten:

Alexander Schadow - Heilpraktiker für Psychotherapie

Praxis und Beratungsverein

Prosozial - Verein für Therapie, Psychosoziale Beratung und Begleitung e.V.

Waldweg 11 - 29336 Nienhagen

Telefon: +49 5085 9560100

E-Mail: email@gespraechspraxis.com

www.https://www.gespraechspraxis-coaching.com/

 

Hinweis:

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

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